Der Medikamentenmangel in der Schweiz ist ein Problem, das nicht erst seit gestern im Fokus der Öffentlichkeit steht. Es mag ironisch erscheinen, dass gerade in dem Land, das unter anderem für seine hohe Dichte an Pharmakonzernen (darunter auch Global Player wie Novartis) bekannt ist, Medikamentenknappheit herrscht. Die Gründe hierfür sind vielfältig und nicht nur nationalen, sondern auch globalen Ursprungs.

Leidtragende sind dabei nicht nur die Patienten, die auf eine regelmässige Versorgung mit teils lebenswichtigen Medikamenten angewiesen sind, sondern auch die vielen Pflegefachpersonen, Apotheker und Ärzte, die mit den begrenzten Medikamenten haushalten und nach alternativen Lösungen suchen müssen.

Medikamentenmangel in der Schweiz – aktuelle Lage und Zuständigkeiten

Laut der Plattform drugshortage.ch besteht derzeit bei knapp über 800 Medikamenten Lieferengpässe (Stand Januar 2024). Laut Medienberichten sind davon nicht nur teure Arzneimittel etwa für chronische Krankheiten betroffen, sondern auch gängige Schmerzmittel sowie Arznei für Kinder oder Antibiotika.

Diese von einer Consulting Firma für pharmazeutische Versorgung betriebene Plattform bietet hinsichtlich der aktuellen Lage zur Medikamentenknappheit in der Schweiz die bislang umfassendste Auflistung, die zudem laufend mit Meldungen von den Herstellern und Apotheken bestückt wird.

Einen offiziellen Überblick zu den Beständen und welche Medikamente konkret von der Knappheit betroffen sind, gibt es jedoch nicht. Das nationale Versorgungsamt erfasst in erster Linie nur vermeintlich unentbehrliche Medikamente. Dadurch fallen nicht verschreibungspflichtige Medikamente durchs Raster.

Dieser mangelhafte Überblick über den aktuellen Medikamentenbestand in der Schweiz ist nur einer der vielen Ursachen und resultiert aus einem weiteren Grund für die Arzneimittelknappheit – den verschiedenen Zuständigkeiten von Beteiligten Stellen, die in die Arzneimittelversorgung involviert sind und die Versorgungskette unübersichtlich machen.

Für die Zulassung von Arzneimitteln sowie die Überwachung der Sicherheit für Konsumenten ist die Nationale Arzneimittelbehörde Swissmedic zuständig. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sorgt für die Festsetzung der Preise. Für die Deckung des Medikamentenbedarfs sind hingegen die einzelnen Kantone zuständig. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung überwacht die Lagerung lebenswichtiger Güter, worunter auch Medikamente fallen. Durch die unterschiedlichen Prozesse bei den Zuständigen sind fehlerhafte Absprachen unter den vielen beteiligten Stellen oftmals ursächlich für eine Störung der Zulassung von Medikamenten.

Ursachen für den Medikamentenmangel in der Schweiz

Weitere Gründe für den Mangel an Medikamenten in der Schweiz haben hingegen einen globalen Hintergrund und sind schwieriger zu beeinflussen. Wirtschaftliche Verflechtungen im Rahmen der Globalisierung haben starke Abhängigkeiten geschaffen. So stammt ein Grossteil der in der Medikamentenproduktion verwendeten Wirkstoffe aus China, Indien, Indonesien, den USA und Grossbritannien. Die wirtschaftliche und politische Lage in den jeweiligen Ländern kann daher eine starke negative Auswirkung auf den Export von Medikamenten oder auch einzelner Wirkstoffe haben. Auch weltweite Krisen wie die Corona-Pandemie hat langfristige Produktionsausfälle in China verursacht, wodurch sich der Medikamentenmangel in der Schweiz sprunghaft verschärft hat.

Der wirtschaftliche Aspekt der Arzneimittelproduktion hat ebenfalls einen gewaltigen Anteil am Medikamentenmangel in der Schweiz. Zwar ist die Schweiz ein grosser Arzneimittelproduzent und Exporteur von Medikamenten. Allerdings beschränkt sich das überwiegend auf neue und somit patentierte Medikamente. Viele der alltäglichen Substanzen wie Antibiotika oder Insulin stammen aus dem Ausland und werden importiert, da die eigene Produktion für viele Hersteller in der Schweiz als finanziell unattraktiv gilt.

Denn die Herstellungskosten für Medikamente sind hoch. Nicht nur für neu entwickelte und patentierte Medikamente. Auch Originalpräparate, die nicht mehr patentgeschützt sind, oder Generika mit identischem Wirkstoff und gleicher Wirkungsweise wie das Originalpräparat.

Das BAG legt die Preise für alle Medikamente fest. Die Generika müssen dabei unter dem Originalpreis bleiben. In der Regel werden die Preise nach unten angepasst, um die Gesundheitsversorgung erschwinglich zu halten. Hersteller von Generika stellt das wiederum vor finanzielle Herausforderung, da die Energiekosten in der Produktion von Medikamenten steigen. Der Generika Markt wird dadurch zunehmend unattraktiv für Pharmakonzerne, vor allem in einem kleinen Land wie der Schweiz wo die Absätze vergleichsweise zu bevölkerungsstärkeren Ländern niedrig sind.

Zulassung von Medikamenten beschleunigen

Lange Zulassungsverfahren verstärken den Medikamentenmangel in der Schweiz zusätzlich. Für die Patienten, die auf die Versorgung mit betroffenen Medikamenten angewiesen sind, ist diese Situation äusserst prekär und sie müssen teils Monate auf das Medikament warten. Selbst wenn die Zulassungs- und Kontrollbehörde für Medikamente (Swissmedic) die Präparate zügig zulässt, muss das BAG noch die Vergütung durch die Krankenkassen abklären.

Für eine Beschleunigung des Zulassungsverfahrens für Medikamente ist eine Harmonisierung der Prozesse von Swissmedic, BAG und der Pharmaindustrie notwendig, wie die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) fordert. So könnten bereits parallel zum Prüfverfahren der Swissmedic die Preisverhandlungen zwischen BAG und den Pharmaunternehmen beginnen.

Zur Beschleunigung der Preisverhandlungen zwischen BAG und den Unternehmen empfiehlt die EFK ein gesundheitsökonomisches Bewertungsmodell, das Grenzwerte festlegt, in denen der Preis auszuhandeln ist. Medienberichten zufolge haben BAG und Swissmedic einem solchen Bewertungsmodell bereits zugestimmt.

Auch der Bundesrat habe bereits gehandelt und den sogenannten „Early Access” eingeführt. Dieser Prozess ermöglicht es, lebenswichtige Medikamente gleichzeitig zuzulassen und für kassenpflichtig zu erklären.

Bedeutung des Medikamentenmangels für medizinisches Fachpersonal

Für das Pflegefachpersonal in den Spitälern, für die Apotheker und für Ärzte bedeutet der Medikamentenmangel gravierende Einschnitte in ihre Arbeitsweisen und vor allem für den Genesungsprozess der Patienten.

Intransparente Lieferketten machen es unmöglich vorher zu sagen, wie lange Medikamentenmangel für bestimmte Arzneimittel besteht oder ab wann diese knapp werden könnten. Das macht es vor allem für die Apotheken schwer, mit ihren vorhandenen Medikamenten zu haushalten. Es ist unter anderem ein Ziel der Plattform drugshortage.ch dem vorzubeugen. Medizinisches Fachpersonal aus allen Sparten im Gesundheitswesen können sich dort so gut es geht informieren und entsprechende Planungsmassnahmen ergreifen.

Im Falle der Verknappung bestimmter Medikamente müssen betroffene Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, Ärzte, Pflegefachkräfte und Apotheker alternative Lösungen finden. Meistens bedeutet das, alternative Medikamente und Generika mit dem gleichen Wirkstoff wie das eigentlich benötigte Medikament ausfindig zu machen und die Verfügbarkeit dafür zu prüfen. Dabei wird auch zunehmend auf den Import von Medikamenten zurückgegriffen.

Apotheken oder auch Spitalapotheken bestellen dann auch die einzelnen Wirkstoffe und mischen die benötigten Medikamente selbst zusammen. Egal welche Lösung gefunden wird – die Suche nach oder eigene Herstellung von benötigten Medikamenten ist zeitaufwändig und bindet das Gesundheitspersonal, das in vielen Bereichen aufgrund des Fachkräftemangels bereits stark unterbesetzt ist.